KRITZELEI & SCHNIPSELKISTE

AllesDichtMachen

https://youtu.be/0WHnxeS3Fi0 <––

Vorweg: ich habe nicht durchgehalten, alle, – sind es 53 Kolleg/innen?, – und deren Clips anzusehen. Kunst, – und ich durfte bei Peter Zadek als blutjunger Anfänger so in die Schule gehen, – darf , muss, kann, will und soll hie und da durchaus verstörend, zerstörend, frei sein. UND; wir leben in einer Demokratie: Andersdenkende gehören, müssen dazu gehört werden. Ich sitze vor dem noch weissen Stück Screen und horche in mich rein, spüre nach. Ich bin verunsichert, ich fühle mich verletzt, wütend, mein Herz pocht, echauffiert und verstört: ich weiss letztlich nicht wie mir ist.

War das damals nicht immer das Ziel, was die Theaterhäuser erreichen wollten: zuschlagende Türen von den Zuschauerraum verlassenden Zuschauern, die Buhrufe, das Entsetzen in den Gesichtern der Dagebliebenen? Immer, wenn ich ins Theater ging als Zuschauer und Wut und Entsetzen in mir hochkrochen, dann wusste ich: das Theaterstück, die Inszenierung triggern mich letztlich genau an der richtigen Stelle: damals, Castorfs STELLA Inszenierung in Hamburg: ich war so was von auf 180. Letztlich habe ich mir den Abend 5 mal angeschaut. Wirklich nur vernichtend ist das Urteil: Langeweile.

Und jetzt diese 53 Clips. Der 53 mal abgelehnte Schulterschluss zur AFD. Eine Spaltung mitten durch die Riege Bühnen, – und Filmschaffender: auch das noch. Auch hier das Spalterische. Kalt sind die 53. Und die 53 gehören zu den Kolleginnen und Kollegen, die in den letzten Jahren so viel Gagen zogen, dass sie im Lockdown weich gelandet sind auf ihren Rücklagen. Das Gros von uns bezieht seit vielleicht 13 Monaten keine Gage mehr.

Nun bin ich alles andere als ein VIP unserer Branche: ich bin ein rechtschaffender Bühnen, – und Filmarbeiter und frage mich ganz ehrlich: ‚Andreas, du eitle Sau, in deinen kühnsten Träumen, wärst du gerne für so einen Clip angefragt worden‘?
Eitel, durchgehend eitel alle 53!

Die Stimmung im Land ist unangenehm: helfen da die 53? Warum ziehen plötzlich ein paar Kolleg/innen wieder zurück? Ich halte mich durchaus für einen schrägen Vogel, sowohl auf der Bühne, noch viel mehr gerne, wenn ich davon beglückt als Zuschauer Euch zuschauen darf. Was bleibt übrig, von den 53? Mit der Irritation kann ich umgehen. Kein Weltuntergang, aber auch keine Befruchtung.

Aber: Wie kommen die 53 bei unserem Publikum an, bei einer Ärztin, die Schicht schiebt am Limit, bei einem Kneipenbesitzer…

53: eine bisschen arrogant gequirlte Kunstscheisse? Ist dieses Entsetzen genau das Ziel gewesen; dass ich mich einreihe unter Unzähligen, die sich hinsetzen und schreiben und posten und rumtelefonieren: wie fandest du das, wie findest du die 53? Ich bin dünnhäutig geworden, wie ein Sollbruchstelle: da reiben und schaben und sägen Zynismus und Sarkasmus wohl genau an der falschen Stelle. Hat es sich gelohnt?

Es gibt Menschen, die die 53 voll ernst nehmen; diese Clips eins zu eins, als wäre das wirklich deren Meinung. Die können das nicht auseinanderhalten. Die merken das nicht! Die unterscheiden nicht. Eine Frau schreibt als zustimmender Kommentar: ‚Ich danke euch von Herzen… Lasst unsere Stimmen stärker werden. Macht bitte weiter‘. Sie meint, die 53 sprächen ihre Sprache und so also ihre Meinung und verstehen diesen ‚Verdreher‘ nicht. Brauchen wir das, jetzt, in diesen doch so kruden Zeiten: noch einmal mehr verdreht, verbogen?
Oder ein Mann, der schreibt: ‚Es sind viele Menschen aus der Mitte, die Sie (die 53) alle hiermit stützen. Menschen, die keine Stimme haben‘.

Die 53 machen sich ja doch nur lustig, aber über was? Und auf Kosten von wem? Die 53 strotzen vor Hohn.

Über keinen einzigen Toten, keine einzige Tote von den inzwischen 80’000 Verstorbenen ein Wort. Keine zwei für die Hinterbliebenen, keine drei für die Genesenen mit Langzeitfolgen, und keine vier für mich, den’s vielleicht noch erwischt und keine Angst haben will, und keine fünf über die stille Solidargemeinschaft, die nicht sich selbst, sondern dadurch das Allgemeinwohl schützen will. Und keine sechs für all die Menschen in den Spitälern, die am Rad drehen.

Oder, wem gehe ich, und wenn wie auf den Leim? Was verstehe ich nicht? Was lese ich, kann ich nicht zwischen den Zeilen erkennen?

Als wäre Corona verhandelbar. Ist es nicht! Greift vorübergehend in die Grundrechte ein, ja, weil wir uns doch letztlich FÜR das Leben entscheiden und nicht für den Tod, und wir Kunstschaffenden, dass wir so bald wie möglich wieder frei ’spielen‘, malen, tanzen, singen und musizieren können vor einem ‚lebendigen‘ Publikum. Was für ein Aufschrei, wenn damals solche 53 Clips gemacht worden wären, die sich auf AIDS bezogen hätten!!!
Oder: wehret den Anfängen? Ist es das, auf das uns die 53 stossen wollen?

Mich irritieren diese 53. Kenne die Eine, den Anderen von der Arbeit auf der Bühne, schätze, verehre sie vor der Kamera. Und jetzt das: als brächten sie sich selbst um ihre eigne Würde und spielen mit Verrat. (gute Schauspielerinnen und Darsteller)
Mir ist, als würde ich noch immer nicht den Kern verstehen. Ich bleibe in all dem wie allein zurück, verstört. Das kann nicht Absicht, Ziel gewesen sein.

Gegenvorschläge haben die 53 keine. Ist das zielführend? Ist das verantwortlich? Ist das vorbildlich?

War bestimmt eine geile Session, diese Clips zu drehen.

Ich bekomme es im Kopf und in meinem Herzen nicht zusammen. Was machen die (meine) regenbogenfarbenen Friedensfahnen auf den Demos der
Querdenker unter der Flagge der Reichsbürger? Den Querdenkern spreche ich das ‚Quer‘ und das Denken ab.

53, ein Akt der Verzweiflung von Kunstschaffenden?
Der Raum für eine streitbare Debatte?
Nicht wirklich intelligent.
Es ging wohl darum, Aufmerksamkeit zu bekommen – SchauspielerInnen brauchen das ab und an!
Diese Aktion ist wohl nach hinten losgegangen!

In was für einer Welt leben wir. Mit viel berechtigtem Zweifel an Deutscher Politik! Statt das Licht am Ende des Tunnels, – mit den möglichen Testungen und Impfungen und um was wir alles einmal kämpfen und wieder uns zurückerobern müssen und wollen, – treiben die 53 das Rad noch einmal schneller und enger voran. Das verunsichert, und was uns verunsichert macht uns möglicherweise Angst. Und Angst ist ein denkbar schlechter Lebensberater. Wohl überlegt war vermutlich dieses Unternehmen 53 nicht.

Ich wünsche mir, dass es dennoch einmal rückblickend dazu beigetragen hat, dass sich am Ende die Dinge gut und richtig und neu zusammengefügt haben werden.

Für Iris, die in diesen Tagen und Stunden für ihr Leben und gegen ihren möglichen Tod kämpft. © AK21

 


DIE LATERNENFRAU – EIN TEXT ÜBER EIN BILD

‚Die Laternenfrau lebt in allen Weltmeeren. Sie bekam ihren Namen wegen ihres Leuchtorgans. Die Laternenfrau hat einen kleinen schlanken Körper, der von kleinen Schuppen bedeckt ist und einen relativ runden Kopf. Die Brustflossen haben normalerweise drei Strahlen. Die Laternenfrau hat eine blaues, grünes oder gelbes Licht ausstrahlende Laterne, die ihr vom Kopf in Schwimmrichtung herauswächst. Diese Laterne spielt im Zusammenhang ihrer Liebesbeziehungen per se und ihrer Partnerwerbung eine einleuchtende Rolle. Die Laternenfrau macht Vertikalwanderungen. Während des Tages bleibt sie in den dunklen Zonen in der Tiefe. Bei Sonnenuntergang beginnt sie aufzusteigen. Sie folgt dabei der Wanderungen der sogenannten ‚Schattenmännern‘, von denen sie sich ernährt. Bei Tagesanbruch schwimmt sie wieder in die Tiefe.‘

© Andreas Krämer 2020