ÜBER DIE BILDER VON ANDREAS KRÄMER

ÜBER DIE BILDER VON ANDREAS KRÄMER


Von Claudia Pfitzenmaier – Kunsthistorikerin – ©

 

NIDDOISE Nr. 28 l © Andreas Krämer 2019 | 18 X 24 | Mit Beton grundiert, Pigment, Kohle und Acryl auf Malpappe.

Ob gewisse Bilder von Andreas Krämer hie und da die aktuellen Film – und Theaterarbeiten, in denen er gerade als Schauspieler steckt, widerspiegeln? Einen direkten, sichtbaren Zusammenhang lehnt Krämer ab.
Seine Bilder erzählen immer Geschichten!
Sie sind Bilder eines Mittendrin.
Shortcuts, in einer Ausstellung aneinandergereiht.
Und wir als Betrachterinnen und Besucher bewegen uns darin frei.
Was für ein Glück:
Weil Andreas Krämer uns mit seinen Bildern nicht fremdbestimmt.
Er schenkt uns eigentlich nur Eindrücke, die wir selbst verarbeiten und baut uns Brücken, an denen wir weiterbauen dürfen.
Mit ein paar wenigen Ausnahmen lässt er uns sogar so frei und allein, dass er seinen Werken auch keine Titel uns mitgibt.  

NIDDOISE Nr. 13 l © Andreas Krämer 2019 | 18 X 24 | Maluntergrund ist ein Rest vom Bühnenbild: Kulissenfolie, Bleistift, Kohle, Pigment und Acryl auf Malpappe.

„Die stete Bereitschaft des Menschen und seine eigentlich immerzu heitere Hingabe zum Spiel, ist eine wunderbare Welt voller Potenziale.“ 

Der Schauspieler und Bühnenmusiker malt zwischen den Proben. Vor einer Premiere. Gegen seine Angst und gegen das Lampenfieber. Andere Schauspieler gehen vielleicht dann in die Muckibude, suchen und finden sich selbst in Yoga und im Meditieren.

Krämer aber legt seine Rollen ab und kommt von der Bühne runter, in dem er malt.
In dem er malt, kommt er zu sich selbst.
Weg vom lauten Theaterleben, den Verabredungen, vom Textreden, all den Stichwörtern und Scheinwerfern, von Regieanweisungen und Konzeptionen hin zu der Selbstbestimmung und dem Urvertrauen.

Ohne Titel Nr. 28 | Andreas Krämer © 2016 | 60 x 30 | Acryl und Pigmentkreide gespachtelt auf Kork mit Blattgold.

‚Ich male, wo mir die Musik und die Sprache Grenzen setzen würden‘.

Aus einer Innenwelt schafft er Synapsen, die uns dazu einladen wollen anzuknüpfen, mitzugehen, einzusteigen: wir als Betrachter spielerisch.
Nicht verspielt das Werk selbst.
Figürlich fast immer, aber nicht gegenständlich.
Abstrakt, aber erkennbar: wie wenn wir in Wolkenformationen Gesichter, Gegenstände mit Selbstverständnis finden. Nicht zufällig. Nicht beliebig.
Und fast immer spielt der Mensch in seinen Bildern die wichtigen Rollen.
Ein immer wiederholendes Phänomen sind die Figuren zur Rechten und zur Linken eines Bildes: einerseits als Mitbetrachter, die dem Geschehen in der Mitte des Werkes zusehen. Andererseits stehen sie im Werk selbst im Spannungsfeld als Protagonisten sich gegenüber.

Und dann taucht in fast jedem seiner Bilder der Kreis, das vollkommene ‚Rund‘, die Scheibe, der Ball auf.
Mal silbern, golden, in purpurnem Rot, in eiskaltem Blau.
Ob wir dieses ‚Rund‘ als Erde, als Mond, als Sonne, als Luftballon sehen oder für etwas, was wir einfach als vollkommen empfinden dürfen?
Es ist immer an uns!
Und manchmal ist einem zumute, als hätte Andreas Krämer seine Bilder, bevor er sie geschaffen, geträumt.

Ohne Titel Nr. 37 | Andreas Krämer © 2016 | 100 x 80 | Blattsilber, Pigmentkreide, Acryl auf Leinwand gespachtelt und fast ausschließlich mit Händen und Fingern gemalt. Mit Acryllack versiegelt.

“Es kommt darauf an, was Sie sehen, und auf Ihr Empfinden.
Denn das ist Ihre Wirklichkeit“.

Ob die Werke von Krämer Seelenspiegelungen sind?
Nein, weil sie keine narzisstischen Selbstbildnisse, und ja, weil sie ehrlich sind.

Sie ziehen uns ins Vertrauen.
Seine Bilder bluten. Sind zärtlich, verträumt.
Da schroff und verletzt.
Dort der Zukunft glücklich zugewandt.

Krämers Bilder sind nicht eitle Selbstdarstellung.
Man hat nicht den Eindruck, hier äussert sich ein Mensch in Selbstverwirklichung.
Man steht seinen Werken nicht mit der Frage alleine gegenüber: was will uns der Künstler damit sagen?
Die Frage lautet: wie gehe ich als Betrachterin oder Besucher in seiner Ausstellung mit diesem Bild weiter?

Verblüffend ist seine Handwerklichkeit und seine Mischtechnik mit Acryl – leuchtenden Pigmentfarben und Farbstiften, mit Kreide, Kohle, Blattgold und sogar Beton zu malen, filigran zu zeichnen und grob zu spachteln.
Er frottagiert und kratzt und schneidet und kämpft: manchmal, in dem er mit bloßen Fingern und Händen in das Bild eingreift.

Ohne Titel Nr. 65 | Andreas Krämer © 2020 | 56 x 52 x 10 cm | Blattgold, Acryl, Pigment und Farbstift | auf eine alte Schublade.

‚Mich ziehen Oberflächen in den Bann, die bereits eine Geschichte mitbringen, eine Bestimmung hatten, mit den Spuren des Gebrauchs und der Zeit und des Zerfalls‘.

Noch verblüffender aber ist, dass Andreas Krämer neben klassischen Leinwänden und schwerem Büttenpapier auf ‚fremde‘ Untergründe zurückgreift, die man zunächst nicht mit Malerei in Verbindung zu bringen vermag.
‚Fremde‘ Untergründe, die bereits ihren Dienst getan haben und Geschichten mit sich bringen.

So zum Beispiel eine Europalette, auf der einmal Druckerzeugnisse transportiert und dann gelagert worden sind: Und dieses Bild, weil es sich in den Raum um 14 cm von der Wand abhebt, schwebt.

Krämer findet seine ‚fremden‘ Unterlagen auf seinen Spaziergängen und Wanderungen. Als Schauspieler, wenn er Text lernen muss für seine Rollen: Auf einer Baustelle abgesägte Baugerüstbohlen in Oldenburg.
Im Tessin im Urlaub uralte Zaunpfähle aus Kastanienholz.
Im Alltag Schubladen alter Kommoden am Strassenrand beim Sperrmüll in Berlin. Korkfliesen, die an sich für Bodenbeläge vorgesehen waren. Es sind Bildminiaturen, die er ins Innere einer noblen Zigarrenkiste aus Zedernholz zaubert.
Beim Weinhändler holt er sich die Stirnplanken alter Weinkisten oder einzelne Dauben alter Weinfässer.
Sein kleinstes Werk ist nicht größer als 7 x 9 cm. Sein bisher grösstes:
2 Meter auf 1.80 Meter. Eine Auftragsarbeit in Norwegen.

Ohne Titel Nr. 49 | Andreas Krämer © 2017 | 100 x 130 cm | Blattgold, Acryl und Pigmentstifte und Sand gespachtelt auf Leinwand.

 

Gewisse Werke von Andreas Krämer will man sich ins Wohnzimmer hängen.
Andere passen exzellent als Eyecatcher in Räume, wo Menschen zusammenkommen: Coworking, Sitzungsräume, Wartezimmer, Sprechzimmer bei einem Arzt, im Entree einer Kanzlei oder eines Konzerns…

Ein Bild aber möchte man sich still ans Kopfende seines Bettes einrichten, mit dem man einschläft und wieder in den Tag kommt.

Im wahrsten Sinne: eine eigenartig gelungene Kunst.
Ein Kunstmaler, ein Andreas Krämer, den man sich merken darf.

© Claudia Pfitzenmaier 2019